Fast alle heute noch bestehenden Nachbarschaften feiern den Sitt- oder Richttag, oder halten, wie es in Gemeinden im Burzenland meist heißt, die "Männerkirche“, in manchen Orten allerdings nicht mehr regelmäßig. Jeder Ort feierte den Richttag auf seine eigene Weise, und an den lokalen Besonderheiten wird auch heute festgehalten. (Siehe auch unter "Nachbarschaften", dort sind die Richttage der noch bestehenden Nachbarschaften beschrieben!)
Der Richttag bestand früher aus zwei Teilen: Im ersten formellen Part wurde die Nachbarschaftslade geöffnet und „Gericht gehalten“: Die Nachbarschaftsstatuten wurden verlesen, der Rechenschaftsbericht des vergangenen Jahres vorgetragen. Es wurde exakt aufgezählt, welcher Nachbar wann und wie oft gefehlt hatte (bei gemeinschaftlichen Arbeiten, bei Beerdigungen), und jeder musste seine Strafe zahlen, manchmal in Liter Wein abgemessen. Schwelende Streits zwischen Nachbarn wurden geschlichtet, oft fand am Vortag ein versöhnendes Abendmahl statt. Außerdem wurden neue Ämter gewähltund besetzt und neue Mitglieder „eingegrüßt“ (heute kommen nur noch selten neue Mitglieder hinzu. Wenn, dann zahlen sie aber immer noch einen traditionellen Obolus, in Kerz zum Beispiel zahlte ein neuer Nachbar im letzten Jahr einen halben Liter Schnaps als "Aufnahmegebühr).
Der zweite informelle Teil war dem gemeinsamen Feiern vorbehalten: Im Anschluss an das „Richten und Schlichten“ fand überall ein großes Festessen beim (neu gewählten) Nachbarvater statt. Danach standen – sofern der Richttag kurz vor Aschermittwoch stattfand – bunte Faschingsumzüge und – bälle an (siehe unter "Fasching"). Ähnlich den städtischen Zunftumzügen wurde der neu gewählte Nachbarvater vom Haus des alten Nachbarvaters zu seiner Wohnstätte geleitet. Die Tradition dieses Geleits war von Ort zu Ort verschieden: In Michelsberg wurde bis 1989 der neue Nachbarvater von geschmückten Reitern begleitet.
Der Richttag mit dem anschließenden Fasching war in vielen Gemeindeneiner der gesellschaftlichen Höhepunkte des Jahres.
Heute hat der Richttag hauptsächlich symbolischen Wert. An der Form wird festgehalten, auch wenn diese ihren ursprünglichen Inhalt verloren hat. Denn zum „Richten und Schlichten“ gibt es kaum etwas mehr. Eine rechtliche Instanz ist der Nachbarvater nicht mehr, und die gemeinschaftlichen Arbeiten sind freiwillig, deshalb gibt es keine Strafen mehr auszusprechen. Der Richttag ist heute eine festlich gehaltene Gemeindevertretersitzung, in der Probleme der Gemeinde besprochenwerden, z.B. die Frage, ob auf dem evangelischen Friedhof auch für andere Konfessionen Platz ist (Beispiel aus Petersberg).
Traditionell ist der Richttag oder die Männerkirche immer noch nur Männern vorbehalten, und Frauen werden nur zugelassen, wenn sie als Vertreter ihrer abwesenden Männer kommen. Nur in einigen Gemeinden sind heute auch Frauen dabei, so zum Beispiel in Keisd oder Probstdorf. In Schäßburg, der einzigen Stadt in Siebenbürgen, die noch Nachbarschaften hat, gibt es Männer- und Frauennachbarschaften separat (aktuell noch zwei Männer- und etwa zehn Frauennachbarschaften). Sie halten getrennt ihre Richttage ab, Bestrebungen eines Nachbarvaters, die Nachbarmütter zum Richttag dazuzuholen, setzten sich nicht durch.
Während die Nachbarschaften sich früher als eigenständige, von der Kirche unabhängige Institutionen betrachteten und der Pfarrer beim Richttag, wenn überhaupt, dann als Ehrengast dabei war, so ist er heute oft im Zentrum der Nachbarschaft und als Leiter und Einberufer des Richtages (zum Beispiel in Petersberg oder Wolkendorf).
Die Nachbarlade ist heute nicht mehr in Benutzung, aber der Ablauf des Richttages ist noch ähnlich wie früher. Der Nachbarvater begrüßt die „ehrsame Nachbarschaft“, verliest den Rechenschaftsbericht und berichtet ausführlich über Einnahmen und Ausgaben und über die Tätigkeiten der Nachbarschaft im letzten Jahr.
Strafen werden heute kaum noch verhängt, allein in Schäßburg müssen die Nachbarn für das Nicht-Erscheinen bei Begräbnissen eine Abgabe an die Nachbarschaft leisten. Aus der Strafkasse finanzierten sich früher die Feierlichkeiten im Anschluss des Richttages. Das bereitet heute Schwierigkeiten: Wenn der Richttag, wie in Schäßburg z.B. nicht mehr im Haus des Nachbarvaters stattfinden kann (wer hat noch Platz für 30 – 40 Leute?) werden die Kosten für ein Essen im Restaurant für alle zum Problem. In kleineren Nachbarschaften wie der in Agnetheln, isst die Nachbarschaft das „Mahlchen“, wie der Agnethler Pfarrer Reinhart Boltres es nennt, immer noch beim Nachbarvater. In Seiburg oder Keisd isst man heute im Pfarrhaus.
Die Zeit der ausgiebigen Faschingsfeiern, in denen die Nachbarn sich gegenseitig Streiche spielten, sind vorbei, stattdessen sitzen aber alle noch bestehenden Nachbarschaften nach dem formellen Teil in einer gemütlichen Runde zusammen, um zu feiern.
Die Nachbarschaften haben heute meist wie früher noch einen festen Termin für den Richttag. Er findet entweder gleich Anfang Januar um Epiphanias herum statt, z.B. in Hammersdorf und in Probstdorf (hier am Montag danach, dem „Geschworenen Montag“). Oder im Februar, in den meisten Fällen vor der Fastenzeit (Schäßburg, Kerz, Bartholomae, Wolkendorf).
(Stand Mai 2010, Julia Jürgens)