Im Jahr 2006 wurde der Urzelnlauf in Agnetheln wiederaufgenommen. Das war ein besonderes Ereignis, nachdem der Brauch der zu den bekanntesten Traditionen der Siebenbürger Sachsen zählt, 16 Jahre lang nicht stattgefunden hatte. Seit ihrem Wiederaufleben hat sich die Parade mit den maskierten Zottelwesen zu einem siebenbürgenweit beachteten Stadtfest entwickelt, zu dem Besucher von überallher anreisen. Etliche ausgewanderte Agnethler aus Deutschland und Österreich kommen zu Besuch, einige streifen ihr altes Urzelnkostüm auch noch einmal über und machen selbst mit; bei der Parade 2010 liefen von 160 Urzeln etwa ein Dutzend Agnethler Sachsen mit.
Mit der Wiederaufnahme dieses bis ins Mittelalter reichenden Brauches hat Agnetheln eine interessante Vorlage geschaffen. Denn dies ist einer der Ausnahmefälle, in dem die Initiative, einen sächsischen Brauch wiederaufzunehmen, von rumänischer Seite ausging. Der Deutschlehrer Bogdan Patru initiierte mit einer Grundschulklasse 2006 den Neuanfang der Urzeln. Später gründete er den Verein "Breasla Lolelor" (Urzelnzunft), der den Urzelnlauf heute organisiert und rund 150 Mitglieder hat. Die Agnethler, so verkündete der aktuelle Bürgermeister Radu Curcean zum Urzelnlauf 2010, sind stolz auf ihre Urzeln. Die Tradition, die vor 1990 nur von den Sachsen gefeiert wurde, gehört heute allen Bewohnern. Sie haben den Brauch übernommen und legen Wert darauf, ihn in der überlieferten Form zu bewahren, als ein "Andenken an die Siebenbürger Sachsen", wie Bürgermeister Curcean sagt.
Der Urzelnlauf war einst ein mit den Handwerkerzünften verknüpfter Brauch, 1689 wurde er erstmals als „Mummenschanz der Zünfte“ urkundlich belegt. Ende Januar zogen die Zünfte - Schuster, Schneider, Kürschner und Fassbinder - mit ihren Zunftladen durch die Stadt, um diese den neuen Zunftmeistern zu überbringen. Begleitet wurden sie von den zotteligen Urzeln, die damals in dem Umzug nur eine Nebenrolle spielten. Als die Zünfte sich auflösten, blieben die Urzeln (der etymologische Ursprung der Urzeln ist wohl urtz, was soviel wie "Rest von etwas" bedeutet) übrig. Sie waren jetzt die Hauptfiguren der Parade. Peitschendknallend und mit immer ein paar Krapfen in ihrer "Quetsche" (einer Holzzange) zogen sie durch Agnetheln
1940 wurde der Urzellauf verboten und erst 1969 wiedereingeführt. Von da bis zum Jahr 1990 liefen die Urzeln jährlich, gerieten dann in den Wirren der Auswanderung aber in Vergessenheit. Bis 15 Jahre später der Deutschlehrer Bogdan Patru mit den Schülern seiner 4. Klasse das "Urzel-Projekt" begann. Er kannte den Urzelnlauf noch aus seiner Kindheit und war von ihm fasziniert. Geplant war zunächst ein Probelauf in Originalkostümen mit Nachstellung der gesamten Parade. Wie Bogdan Patru erzählt, waren nicht nur die Kinder sofort begeistert. Auch die Agnethler Sachsen freuten sich mehrheitlich über die Auferstehung der Urzeln. Sie halfen beim Kostüme-Nähen und stellten die alte Zunftlade zur Verfügung.
Der Probelauf wurde zum erfolgreichen Neubeginn. Als Erben der Tradition finden die "Neu-Urzeln" auch bei der deutschen Urzelnzunft Akzeptanz. 2007 kamen die Urzeln aus Sachsenheim mit der HOG Agnetheln zusammen in die alte Heimat, um die Feinheiten der Tradition weiterzugeben. Sie erklärten Ablauf und "Regeln" des Urzellaufs, an die sich die neuen Agnethler Urzeln gewissenhaft halten. Bogdan Patru betont in vielen Interviews, wie wichtig es ihm ist, den Brauch unverändert weiterzuführen. Überlegungen, den Brauch mit rumänischen Elementen anzureichern, seien alle verworfen worden.
So hat der Urzellauf heute tatsächlich viele traditionelle Elemente bewahrt. Dazu gehört, dass wie früher die Urzeln nach der Parade in Gruppen, sogenannten "Parten", durch Agnetheln ziehen und wichtigen Persönlichkeiten einen Besuch abstatten. Dazu gehört zuvorderst der evangelische Pfarrer. Bevor sie mit Krapfen und Wein traditionell bewirtet werden, tragen die Urzeln ihm auch heute den altüberlieferten Spruch vor:
Wir wünschen Glück in diesem Haus,
Wir treiben mit Schelle und Peitsche
Die Sorgen und den Ärger aus.
Unsere Lieder und Witze kann jeder hören.
Und daß wir Euch besuchen kommen,
Beweist, daß wir Euch ehren.
Nicht alle Urzeln sprechen deutsch, manche buchstabieren den Text mühsam vom Zettel. Doch der Wille zur Traditionslinie ist vorhanden. Erhalten geblieben sind auch die Traditionsfiguren, die heute nur noch symbolisch die Agnethler Zünfte darstellen: Der die Parade anführende Hauptmann mit den beiden Engeln (Schusterzunft), das tanzende Schneiderrösschen mit Mummerl (Schneiderzunft), der Bär mit Treiber (Kürschnerzunft) und der Reifenschwinger (Fassbinderzunft).
Neu ist, dass zum Abschluss des Urzelnaufs heute das Siebenbürgenlied auf deutsch und auf rumänisch (in der Übersetzung von Dan Danila) gesungen wird. Es ist eine konsequente Anpassung an das Gemeinschaftserlebnis, das der Urzellauf heute darstellt. Das ist einigen (ausgewanderten) Sachsen zu progressiv. Bei siebenbuerger.de kann man kritische Stimmen wie diese finden: "ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll oder ärgern? jetzt haben sie also auch noch unser lied..." lautet der Kommentar eines Nutzers des Webforums. Die Mehrheit der Sachsen jedoch begrüßt den neuen Urzellauf als Fundament für Gemeinschaft und gegenseitiges Verständnis.
Den Urzelnlauf gab es vor 1989 auch noch in Großschenk und Marpod (hier waren die Urzeln in die "Hässigen", die Hässlichen und die "Hieschen", die Hübschen unterteilt).
Der Brauch wird von den ausgewanderten Sachsen seit 1965 auch in Deutschland gefeiert, heute noch in Sachsenheim (Baden-Württemberg), Geretsried und Traunreut in Oberbayern.
(Stand März 2010, Julia Jürgens)