Das Kronenfest ging nach 1990 zunächst in allen Orten verloren. In den Jahren der Auswanderung zerriss die Gemeinschaft in allen Dörfern so vollständig, dass an das Bewahren der Traditionen nicht zu denken war. Als Fest der Jugend verlor das Kronenfest auch seine Grundlage - denn zurück blieben ja nur die Älteren. Zehn Jahre später begann jedoch nach und nach eine Wiederentdeckung des Kronenfestes: Seit 2000 feiert Kerz/ Cârța wieder die Krone, 2001 folgte Neppendorf/ Turnișor, 2005 Malmkrog/ Mălâncrav. Noch einmal zehn Jahre später kommt im abgelegenen Scholten/ Cenade noch ein weiterer Ort hinzu. Im Mediascher Kirchenbezirk, der die kleinsten Gemeinden in Siebenbürgen zählt, ist dieses Kronenfest ein besonderes Ereignis.
1995 war in Scholten zum vorerst letzten Mal die Krone aufgestellt worden. In diesem Jahr war der letzte Scholtener Pfarrer Schaser ausgewandert. Dass das Kronenfest 15 Jahre später wiederbelebt wurde, hat mehrere Erklärungen: In Scholten gibt es seit 1992 das Altenheim „Peter und Paul“, das vom Diakonia-Verein in Karlsburg/ Alba Iulia betrieben wird. (Ursprünglich wurde das Heim als Schule erbaut. Die Auswanderung zwang zur Änderung des Zweckes: Denn bedürftig waren jetzt die Alten, deren Kinder und Enkelkinder nach Deutschland ausgewandert waren). Das Altenheim feiert seit Bestehen in jedem Jahr ein Peter-und-Paulsfest – seit 1995 allerdings ohne Krone.
Die Idee, die Krone wieder aufzustellen, schien 2010 in der Luft zu liegen. Es stand das 20-jährige Jubiläum zur Partnergemeinde von Scholten in Benthe (Niedersachsen) an. Ein Besuch in Benthe weckte beim Scholtener Kurator Simon Binder den Wunsch, den diesjährigen Peter-und-Paulstag wieder mit Kronenfest zu feiern. Initiatoren waren auch die zwei Söhne des letzten Scholtener Pfarrers, Johannes und Benjamin Schaser. Sie sind vor einigen Jahren nach Siebenbürgen zurückgekehrt und kennen das Kronenfest noch aus ihrer Kindheit.
Mit großem Engagement machte sich eine Handvoll Menschen in Scholten, unterstützt von Pfarrer Gerhard Servatius-Depner aus Mediasch, an die Vorbereitungen. Der alte Kronenstamm, schon über 50 Jahre alt, wurde aus dem Schuppen des Pfarrhauses geholt und frisch gehobelt. Nicht jeder aus der Gemeinde konnte oder wollte sich engagieren. So wurde die Krone, die traditionell die Frauen binden, nun von ein paar Männern geschmückt. Sogar die fünf Lilien, die nach Scholtener Brauch auf die Spitze der Krone gehören und heute in der Natur nur noch schwer zu finden sind, wurden gesucht und aufgesteckt. Über hundert Gäste aus dem Mediascher Bezirk, aus der Mühlbacher Gegend, aus Hermannstadt und aus der Partnergemeinde Benthe kamen zu diesem Jubiläum.
Beeindruckend am Scholtener Kronenfest 2010 war vor allem die Rede, die Benjamin Schaser, der die Krone erklomm, hielt. Üblich als Begrüßung der Anwesenden wurden seine Worte ein emotionaler Aufruf an die Jugend. Benjamin Schaser erinnerte an die Tradition des Erntebittfestes, schlug aber auch einen denkwürdigen Bogen zur Gegenwart. Traditionen seien ein Stück Heimat, das man nicht preisgeben dürfe. Sein Herz schlage für Siebenbürgen und für Rumänien, sagte er und forderte vor allem die junge Generation auf, die Verbindung zu ihrer Heimat zu wahren. „Geht ruhig ins Ausland und verdient euer Geld,“ rief er zu den zahlreichen Kindern und Jugendlichen aus Scholten hinunter, „aber kehrt damit wieder zurück nach Rumänien, denn das ist eure Heimat und hier sind eure Wurzeln.“
Benjamin Schaser bei der Kronenrede (Foto: J. Jürgens)
Dass ausgerechnet die beiden Söhne des ausgewanderten Pfarrers in ihr Heimatdorf zurückkehren und an alte, fast vergessene Traditionen anknüpfen, ist natürlich eine besondere Botschaft. Der für Scholten zuständige Pfarrer Gerhard Servatius-Depner beschrieb dies als „Zeichen eines Anfangs“, das den kleinen und kleinerwerdenden Gemeinden Mut mache. Eben das ist wohl als Bedeutung des Kronenfestes heute zu nennen.
Die Wandlung, die das Fest erfahren hat, ist groß: Das ehemalige Fest der Jugend wird heute vom Scholtener Altenheim ausgerichtet. Die Kronenrede wird auf Rumänisch übersetzt, denn das ist – überwiegend – die Sprache der Zuschauer. Diesen Gegenheiten gegenüber herrschte, wie mir schien, eine erstaunliche Veränderungstoleranz. Statt Klagen und Beschwörungen früherer und besserer Zeiten war eher Stolz spürbar, was im Hier und Jetzt bewegt wird. Zu sehen war 2010 in Scholten ein Kronenfest, das eine Tradition in die Gegenwart holte und nicht ins Gestern zurückführte.
(Stand Juli 2010, J. Jürgens)