Nachbarschaft in Reichesdorf

In Reichesdorf selbst gibt es heute keine Nachbarschaft der alten Ordnung mehr. Auf Initiative vom Reichesdorfer Kurator Johann Schaas und durch das Engagement von Pfarrer Ulf Ziegler aus Mediasch gibt es seit einigen Jahren jedoch eine übergemeindliche Nachbarschaft der Gemeinden Reichesdorf, Scharosch, Birthälm und Großkopisch. Diese Gemeinschafts-Nachbarschaft feiert jedes Jahr im Februar gemeinsam ihren Sitt-Tag. Von den früheren Funktionen einer Nachbarschaft, hat diese sich die Ehrenpflicht bewahrt, allen Begräbnissen der Nachbarn beizuwohnen, selbst wenn diese nicht im eigenen Dorf stattfinden.

Bis 1990 gab es in Reichesdorf neun Nachbarschaften mit je etwa 40 Mitgliedern. Ihnen standen je zwei Nachbarväter, der „Ältere“ und der „Jüngere“ genannt, vor. Die Nachbarväter wurden reihum dem Alter nach ernannt, mussten aber durch Wahl am Sitt-Tag bestätigt werden (womit in Ausnahmefällen das Amt eines Nachbarvaters verhindert werden konnte, siehe Interview Johann Schaas „Über die Nachbar-schaften“).

Bis zur Auflösung der Nachbarschaften blieb die gegenseitige Hilfe, zum Beispiel beim Auf- und Abdecken der Scheunen, aktiv. Sonntags um 5 Uhr morgens war meist der Termin, zu dem alle Nachbarn erscheinen mussten, um zu helfen. Wer nicht kam, musste am Sitt-Tag, der jährlich am Marientag, am 2. Februar gehalten wurde, Strafe zahlen.

Zum gemeinsamen Inventar der Nachbarschaften, auf das jeder Nachbar Zugriff hatte, gehörte u.a. eine Sähmaschine für Weizen, ein Schlundrohr für das Vieh (wenn ein Apfel im Schlund steckenblieb zum Beispiel), ein Trokarmesser für das Vieh (bei Darmblähungen), ein Bottich mit Maß für den Weinverkauf und zwei Harken für das Zusammenziehen der Scheunen bei Feuer.

Die Rumänen in Reichesdorf organisieren sich bis heute in nachbarschaftsähnlichen Institutionen, den „vecinități“. Diese sind aber nicht mehr lokal nach Hausnummern, sondern, wie Johann Schaas erzählt, nach sozialer Schichtung organisiert. Dies steht seiner Ansicht nicht in der Tradition der sächsischen Nachbarschaft, die auf Gemeinschaft aller angelegt war.  

(Stand Mai 2010, Julia Jürgens)