Kerz war im Jahre 2000 die einzige sächsische Ortschaft, die das Kronenfest noch feierte. In allen anderen Dörfern Siebenbürgens war das größte Sommerfest, das die Sachsen einst zu Ehren der kommenden Ernte am Johannis- oder am Peter-und-Pauls-Tag im Juni feierten, verschwunden. Auch in Kerz löste sich der Brauch in den frühen 90er Jahren auf, weil die Jugend, die das Fest traditionell veranstaltete, ausgewandert war. Michael Reger, seit 1995 Pfarrer in Kerz, brachte das Kronenfest jedoch mit Hilfe der Lehrerinnen Anna und Astrid Pascu und der Kindergärtnerin Erna Szegedi wieder in Gang. Auch die Wiederbelebung hat in Kerz Tradition: Zweimal wurde das Kronenfest im letzten Jahrhundert nach längerer Pause neu belebt, im Jahr 1939 und 1974. Beide Male waren Lehrer/Lehrerinnen und Pfarrer als Motoren daran beteiligt (1939 Lehrer Gotthelf Zell, 1974 Pfarrer Heinrich Krauss mit dem Journalisten Friedrich Schuster).
Das Kerzer Kronenfest muss etwas ausführlicher beschrieben werden. Es wurde schließlich zum Vorbild für andere Gemeinden wie Neppendorf, Malmkrog oder Scholten, die ermutigt wurden, selbst das Kronenfest wieder einzuführen.
Das Kronenfest, das in Kerz als Johannisfest gefeiert wird, findet heute immer am ersten Sonntag nach dem Johannistag (24. Juni) statt. Wie auch das Malmkroger Kronenfest ist es heute ein überregionales Ereignis, zu dem um die hundert Gäste von auswärts kommen. Nach der Auswanderung hat der Brauch eine gemeinschaftsstärkende Bedeutung bekommen, die über den Ort, der das Fest ausrichtet, hinausgeht. Dennoch hat das Kerzer Kronenfest einige ortseigene Elemente bewahrt:
Die Tradition beginnt genaugenommen schon am Samstag mit dem Pflücken bzw Sammeln von Johannisblume und Eichenlaub. Die Johannisblume hat in Kerz Tradition: Vielleicht geht dies noch darauf zurück, dass diese Blume – als Symbol des Sonnenlichts – schon verwendet wurde, als das Kronenfest noch ein Sonnenwendfest war. Das Pflücken der Blumen war früher den noch unverheirateten Mädchen und das Sammeln des Eichenlaub den noch unverheirateten Jungen vorbehalten. Heute ist jeder willkommen, der mithilft.
Das Binden der Krone ist der zweite wichtige Teil der Tradition: Die Technik des Bindens hat sich mündlich seit Jahrhunderten von den älteren Frauen an die Mädchen weitervermittelt und so ist es heute noch, auch wenn nur einige wenige noch dabei sind. Die Johanniskrone ist in Kerz eine Pyramide aus drei Kränzen, die mit Eichenlaub und Johannisblumen umwunden werden – früher waren die Kränze ausrangierte Wagenräder, seit 1975 gibt es ein extra für diesen Zweck geschmiedetes Eisengestell (die Erfindung eines Kerzer Schmiedes und praktische Neuerung der alten Tradition).
Die "Kronenbinderinnen" aus Kerz im Juni 2010 (Foto: J. Jürgens)
In der Krone wird wie früher ein Korb mit Wein, Bonbons und einem seidenen Halstuch befestigt. (Das Tuch schenkt der, der die Krone erklommen hat, seiner „Auserwählten“, diese hängte es sich früher seitlich an ihre Tracht, heute um den Hals)
Am Sonntag öffnet sich das Kerzer Johannisfest seinen Besuchern: Es beginnt mit einem Gottesdienst, danach gibt es ein Essen im Garten des Pfarrhauses (das Essen ist eine Neuerung, die 2000 eingeführt wurde. Früher, als es noch keine Besucher gab, aß man daheim) Dann wird die Krone von Kerzer Jugendlichen (damals wie heute in Tracht) in einem Festzug durch den Ort geführt. Dazu spielt heute die Blasmusik aus Probstdorf. (Der Festzug in Kerz und auch in anderen Orten fand früher einmal nur mit Gesang der Mädchen statt. Als Plattenspieler und Radio allmählich die Erinnerung an die alten Lieder verdrängten, wurde in den 70er Jahren die Blasmusik fester Teil des Kronenfestes. Mit der Auswanderung ging wiederum fast allen Ortschaften die Blasmusik verloren, so dass die wenigen noch existierenden Blaskappellen – wie die Probstdorfer und die Petersdorfer – heute nach überallhin „ausgeliehen“ werden.)
Die Probstdorfer Blaskapelle ist heute schon eine Attraktion an sich. Die in die Jahre gekommenen alten Herren spielen würdig in blauer Uniform trotz ihres hohen Alters passioniert ihre Märsche und Polkas. Da einigen von ihnen das Laufen schwer fällt, führen sie den Zug nicht mehr zu Fuß, sondern sitzend im Pferdewagen an. Solche Veränderungen der Tradition nimmt niemand übel.
Der Höhepunkt ist wie früher das Besteigen der Krone: Unter großem Anfeuern versuchen ein paar Mutige, den 15 m hohen Tannen-Stamm zu erklimmen. Der Sieger im Jahr 2010 war der Rumäne Alin, 23 Jahre alt. Er war für den eigentlich eingeplanten sächsischen Kronen-Kletterer eingesprungen, der den Sommer über in Italien arbeitet und nicht zugegen war. Ein „Vivat“ von der Kronenspitze herab (das traditionell für alle mit dem Namen Johann ausgerufen wird), hatte Alin, der kein deutsch spricht, nicht parat. Aber mit spaßigen Anweisungen von Pfarrer Reger ging alles andere seinen Gang: Der Bonbonregen in die jubelnde Kindermenge hinab, das Teilen des Preises, einer Flasche Schnaps (früher Wein) mit den anderen Jungen. Die Stimmung ist gut, das Publikum um den Kronenbaum herum zahlreich. Mit einem Augenzwinkern werden nichtveränderbare Zeitumstände ins Kronenfest von heute integriert.
Kronenfest Kerz 2010 (Foto: J. Jürgens)
Dazugehört auch, dass die Kinder-Tanzgruppe heute aus Hermannstadt (Deutsche Schule I. L. Caragiale) kommt, wie auch der Chor (die„Sälwerfäddem“), weil es in Kerz Tanzgruppe und Chor nicht mehr gibt.
Nach Meinung von Pfarrer Reger ist das Kronenfest noch soweit ein sächsisches Fest, als die "Idee von den Sachsen stammt". Teilhaben sollen heute daran „alle, die an ihr teilhaben möchten“ und die helfen, diese Tradition zu erhalten.
(Stand Juli 2010, J. Jürgens)