Begräbnis

Vorab: Über das Begräbnis spricht niemand gern, und es schien mir oft pietätlos, bei meiner Recherche bis ins kleinste Detail nach dem Ablauf und den überlieferten Ritualen zu fragen. Wenn das Begräbnis hier so viel Raum einnimmt, dann deshalb, weil Begräbnisse die sächsische Gemeinschaft aufgrund ihrer demographischen Struktur leider öfter heimsuchen als fröhliche Feste des Lebens. Ein anderer Grund ist, dass sich Rituale oder Bräuche im Umgang mit dem Tod besonders authentisch erhalten haben und auf ihre Bewahrung und würdige Durchführung, bis ins Detail, großen Wert gelegt wird.

Auf dem Land und teilweise auch in der Stadt werde  alte Menschen noch zu Hause von Angehörigen oder Mitgliedern der Gemeinde gepflegt. Im vertrauten Umfeld zu sterben ist der Wunsch vieler, und so geschieht es auch, sofern es noch Familie oder jemanden gibt, der sich kümmert. Auf dem Land gibt es keine Bestattungsunternehmen und in vielen Fällen keine Friedhofskapellen zur Aufbewahrung des Toten. So kommt es, dass der Tote oft noch bis zum Begräbnis im Haus bleibt und selbstverständlich von den Angehörigen gewaschen und angekleidet wird. (Tote werden heute in Anzug/ festlicher Kleidung, selten noch in Tracht beerdigt, traditionell aber ohne Schuhe). Das Begräbnis ist noch Aufgabe der Familie, die von der Nachbarschaft/ Gemeinde stark unterstützt wird. Es wird nicht, wie in Deutschland, an professionelle Dienstleister „outgesourct“.

Elemente, die außerhalb der kirchlichen Liturgie zu einem traditionellen Begräbnis gehören, sind die Totenwache, die Abbitte des Toten, der von den Nachbarn/ der Gemeinde begleitete Leichenzug, und, sofern es möglich ist, die Blasmusik. Dies gilt besonders für die Landgemeinden, in den Städten hat sich das Begräbnis, wie andere Bräuche auch, schneller modernisiert.

Elemente eines Begräbnisses nach Tradition

Die Totenwache

Die Totenwache im Trauerhaus, in der guten Stube, wo der Sarg aufgebahrt steht, wird auf dem Land so abgehalten wie früher. An einem oder zwei aufeinanderfolgenden Abenden kommen Verwandte und Freunde, kondolieren den Angehörigen, setzen sich rund um den geöffneten Sarg und nehmen vom Toten mit Gebeten und Trauerchorälen Abschied. In manchen Orten nehmen nur die Frauen um den Sarg Platz, die Männer sitzen in einem Nebenraum. Es haben sich auch Elemente des Aberglaubens noch erhalten, wie im Zimmer des Toten die Uhren anzuhalten oder den Spiegel mit einem Tuch zu verhängen, in der magischen Bedeutung, dass sich die Seele nicht im Spiegel verfängt oder der Tod sich im Spiegel nicht verdoppelt, zum Beispiel in Michelsberg oder Großalisch. Wo der Tote in einer Friedhofskapelle aufgebahrt ist, findet die Totenwache, zu begrenzten Öffnungszeiten, dort statt.

Das Glockengeläut

Das Läuten der Glocken, das auch von Ort zu Ort leicht variiert, wird ebenfalls noch nach den überlieferten Regeln besorgt. Nach Bekanntgabe des Todes eines Gemeindemitgliedes beim Pfarrer oder Kurator werden die Glocken geläutet, auch dann, wenn der Tote im Ausland gestorben ist. Am Tag des Begräbnisses wird in ländlichen Ortschaften morgens noch zum Grabmachen geläutet, und ebenfalls eine Stunde vor dem Begräbnis, als Zeichen an die Gemeinde, sich zu sammeln. Es gibt dabei genaue Regeln, in welcher Abfolge die große, mittlere und kleinere Glocke läuten. Für den Weg, den der Pfarrer vom Pfarrhaus zum Trauerhaus geht, wird zum Beispiel geläutet bis zu dem Moment, in dem er den Hof betritt.

Das Ausheben des Grabes

Am zweiten oder dritten Tag nach dem Tod findet das Begräbnis statt. Wo es noch eine Nachbarschaft gibt, verständigt der Nachbarvater über den Zeitpunkt und verpflichtet drei oder mehr Nachbarn, das Grab auszuheben. (Für ihren Dienst wird den Gräbern wie früher von den Angehörigen eine „Gebühr“ zum Friedhof gebracht, meist Brot mit Speck). Die Nachbarschaften in vielen Dorfgemeinden legen noch großen Wert darauf, dass das Grabausheben von den Nachbarn vorgenommen wird, viele Gemeinden haben heute aber heute bezahlte Totengräber. Beim Läuten versammelt sich die Nachbarschaft im Hof des Verstorbenen. Die Teilnahme und das „letzte Geleit“ ist immer noch „Ehrenpflicht“ der Nachbarn und heute zur Hauptfunktion der Nachbarschaft geworden. Das Aufstellen der Nachbarn im Hof hatte früher eine exakte Ordnung nach Geschlecht und Alter, die heute teilweise, zum Beispiel in Keisd, immer noch beachtet wird. Die Frauen stehen auf der einen, die Männer auf der anderen Seite und stehen dem Alter nach gruppiert.

Die Abbitte des Toten

Auch die Abbitte des Toten hat sich in vielen Landgemeinden erhalten, zum Beispiel in Neudorf bei Schäßburg, in Reichesdorf, Großschenk, Michelsberg, in Leblang und Seiburg, in Petersdorf bei Mühlbach und in einigen Burzenländer Gemeinden wie Petersberg und Wolkendorf. Der Nachbarvater, Kurator oder ein dafür bestimmter Redner tritt ins Trauerhaus und fordert den Toten mit einer Formel ab, die von Ort zu Ort in Länge und Wortlaut variiert und mündlich, in manchen Fällen auch schriftlich, von den Vorfahren überliefert ist. Der Redner drückt der Familie stellvertretend für die Nachbarschaft/ Gemeinde sein Beileid aus und bittet darum, den Toten auf "Gottes Acker" (zum Friedhof) bringen zu dürfen und die Seele Gott zu befehlen. Erst wenn die Angehörigen antworten, dass es gestattet sei, tritt der Wortführer mit vier bis acht Männern (Nachbarn) ins Haus, schließt den Sarg bzw. nagelt ihn zu und trägt den Toten in den Hof, mit den Füßen voran. Gibt es eine Blaskapelle, spielt diese einen Trauerchoral, oder die Gemeinde singt. Der Pfarrer hält die Lesung und spricht ein Gebet. Heben die Nachbarn den Toten von der Totenbank, ist es immer noch Brauch, die Totenbank sofort umzustoßen, in der Bedeutung, dass der Tod nicht eingeladen werde, diesen Hof bald wieder heimzusuchen (überliefert aus Michelsberg).

                                                

Von den Nachbarschaften überlieferte Abbitte aus Petersberg im Burzenland, die heute noch so vorgetragen wird

Der Trauerzug

Der Trauerzug zum Friedhof hatte früher eine exakte Ordnung, die teilweise noch eingehalten wird. Die Blaskapelle, wo noch vorhanden, geht voraus, es folgen Pfarrer und Kurator, dann der Sarg, die Familienangehörigen und die Nachbarn nach Alter geordnet. Wo es eine Friedhofskapelle gibt, hat sich der Trauerzug durch den Ort und dadurch meist auch die Abbitte des Toten verloren. (Dem Gesetz nach ist das Aufbahren von Toten zu Hause nicht mehr erlaubt, ebenso ist in Städten der Leichenzug durch die Stadt untersagt) Dort, wo ein Trauerzug noch üblich ist, wird der Sarg heute mit einem Totenwagen transportiert, denn zum Tragen des Toten, das früher die Ehrerbietung gegenüber dem Toten unterstrich, reicht die Kraft heute nicht mehr, und junge Männer fehlen. Ins Grab heben den Sarg aber die Nachbarn, manchmal die Presbyter und nur in Fällen, wo es gar nicht anders geht, hat man dafür Arbeiter angestellt. Das Gleiche gilt für das Zuschaufeln des Grabes. Es wird als unwürdig empfunden, für das Begräbnis fremde Hilfe zu benötigen, vor allen Dingen, wenn es noch Männer in der Gemeinde gibt, die dies tun könnten. Im Bewusstsein ist es äußerst wichtig, das Begräbnis innerhalb der Nachbarschaft/ Gemeinde zu bewältigen. Beim Zuschaufeln des Grabes spielt, wo es sie gibt, die Blaskapelle, ansonsten singt die Trauergemeinde einen Choral.

Mancherorts ist es üblich, dass die Gemeinde um das noch offene Grab einmal oder mehrmals herumgeht, in dem alten Aberglaube, den Toten so zu bannen (Großalisch). 

Die Blaskapelle

Die Blaskapelle ist ein äußerst wichtiger Bestandtteil des Begräbnis geblieben. Ein Begräbnis ohne Musik ist, wie „einen Hund zu verscharren“, wie mir jemand in Petersberg sagte. Mit wenigen Ausnahmen (Petersdorf bei Mühlbach oder Probstdorf) haben Gemeinden heute keine örtlichen sächsischen Blaskapellen mehr, die aus Pflichtgefühl und gegen eine traditionelle Verköstigung durch Wein und Tränenbrot aufspielen. Dennoch ist die Musik zum Begräbnis vielen so wichtig, dass sie eine der städtischen rumänischen Blaskapellen bestellen. Diese nehmen teilweise jedoch sehr hohe Vergütung, die für hiesige Sachsen mit kleinen landwirtschaftlichen Renten mitunter kaum zu bezahlen ist.

Das Tränenbrot

Zum Abschluss des Begräbnisses ist es üblich, dass sich der Nachbarvater oder Kurator bei der Nachbarschaft/ Gemeinde für ihr Kommen und beim Pfarrer für die trostreichen Worte bedankt. Nach dem Trauergottesdienst ist heute noch das Tränenbrot üblich. Früher wurden nur die Anverwandten und engen Freunde eingeladen, heute, da die Zahl der Trauergäste geringer ist, werden meist alle Anwesenden dazugebeten. Je nach Möglichkeit und Wunsch lädt die Trauerfamilie in ihr Haus, ins Pfarrhaus, den Gemeindesaal oder auch ins Restaurant, wo ein kaltes oder warmes Mahl geboten wird. Bei der Vorbereitung des Tränenbrotes hilft, wenn es zu Hause stattfindet, häufig noch die Nachbarschaft/ Gemeinde mit.

Die Grab- und Friedhofspflege bleibt eine wichtige Aufgabe der Nachbarschaft/ Gemeinde. Viel freiwillige Arbeit wird in das Putzen des Friedhofs investiert, oft helfen die Heimatortsgemeinschaften von außerhalb durch finanzielle Unterstützung. In vielen Fällen ist es üblich geworden, das Grab mit einer Betondecke zu versiegeln, da die Angehörigen heute oft im Ausland leben und die Pflege nicht übernehmen können.

(Julia Jürgens, Stand Oktober 2010)