Nachbarschaft in Probstdorf

In Probstdorf gab es bis 1992 zwei Nachbarschaften, die "Obere Nachbarschaft" und die "Untere Nachbarschaft". Alle verheirateten sächsischen Männer gehörten einer der beiden Nachbarschaften an. Bis 1992 wurde zum Überbringen jeglicher Nachrichten, von der Einladung zum Richttag, über den Arbeitseinsatz am Umbau einer Scheune bis zur Beerdigung, das Nachbarzeichen verwendet. Das Betreten des Hauses mit dem Zeichen war nicht erlaubt! Der Überbringer musste an die Tür klopfen, übergab im Hof das Zeichen und überbrachte die Nachricht, entweder mündlich oder in schriftlicher Form. Derjenige, der das Zeichen übernahm, musste sofort zum nächsten Nachbar gehen. Dadurch wurde gewährleistet, dass das Zeichen nirgends vergessen wurde.

Foto: Heimatortsgemeinschaft Probstdorf

Heute hat sich aus beiden Nachbarschaften eine zusammengeschlossen, der die ganze kleine Gemeinde angehört. Der Nachbarschaft steht der Nachbarvater vor, für das Amt des Jungenachbarvaters gibt es heute zu wenige Mitglieder. 

Der Richttag wird wie früher am "Geschworenen Montag" gehalten, am ersten Montag nach dem 6. Januar und dauert nach altem Brauch zwei Tage. Der Richttag ist heute mit einer Gemeindevertretungssitzung gleichzusetzen, bei der anstehende Probleme und gemeinnützigen Arbeiten wie Reparaturen am Pfarrhaus oder an der Kirche besprochen werden. Nach der Sitzung wird zusammen im Haus des Nachbarvaters gegessen und gefeiert. Auch am zweiten Tag, dem Dienstag, wird gemütlich zusammengesessen, musiziert und gemeinsam gegessen und getrunken. 

Früher begann der "Geschworene Montag" nur für die Männer um halb zehn mit einem Gottesdienst. Danach eröffnete der Alte Nachbarvater im Festsaal den Richttag. Strafen wurden ausgesprochen, neue Mitglieder - die frisch verheirateten Männer - "eingegrüßt" (in die Nachbarschaft aufgenommen) und ein neuer Nachbarvater gewählt. Heute liegt das Amt des Nachbarvaters schon seit Jahren beim Kurator Michael Gierling, er ist der einzige, der dafür noch Kraft und Muße hat. 

Der Richttag endete früher, also bis zur Auswanderung, mit Tanz bis in die Morgenstunden. Am nächsten Tag, dem „Geschworenen Dienstag“ wurde der gemütliche Teil fortgesetzt. Bereits am frühenMorgen wurde das Nachbarschaftszeichen vom neuen Nachbarvater durchs Dorf geschickt und es wurde der Beginn des „Geschworenen Dienstags“ mitgeteilt. Wenn zum angegebenen Zeitpunkt nicht alle Männer anwesend waren, wurden die noch fehlenden von allen anderen in Begleitung der Adjuvanten (Musikanten) von zu Hause abgeholt und mussten dafür eine Strafe in Form von Geld oder Wein für die Nachbarschaft zahlen. Die Frauen gingen von Nachbar zu Nachbar und sammelten von jeder Familie Brot, Wurst, Käse, Zwiebeln, Gurken und sonstige Lebensmittel ein und bereiteten für die Männer das Essen vor. Nachmittags gingen die Frauen als Friseuse verkleidet, mit selbstgebastelten Pinseln, in den Saal und „rasierten“ alle Männer. Wenn das Wetter schön war, fuhren am Nachmittag Frauen wie Männer mit dem Pferdewaagen, später mit dem Traktor, durch das Dorf und machten Musik. Auf dem Traktor wurden Pfannkuchen gebacken, was besonders bei den Kindern beliebt war. Die Männer feierten bei einem Glas Wein und guter Laune noch bis abends, manchmal auch bis Mitternacht weiter.

Backen von Pfannkuchen am Geschworenen Dienstag in Probstdorf (Foto: Tidi Hügel, Datum unbekannt)

(November 2010, Julia Jürgens und Tidi Hügel, letztere steuerte die Informationen zum Brauch des "Geschworenen Montags" bis zur Auswanderung bei)